Die Präsentation der Arbeiten von Barbara Greul-Aschanta und Jörg Eibelshäuser, die ERKUNDUNG UNBEKANNTER TERRITORIEN, steht im Kontext des diesjährigen Ausstellungsthemas OMNIBUS. In einer Schrift zu dem Jahresthema heißt es: „Die Kunst wird während dieser »Fahrt« im Omnibus, einem Fortbewegungsmittel FÜR ALLE, vom Passagier im »Vorüberfahren« wahrgenommen.“
Zugleich mag dieser Omnibus auch das Transportmittel gewesen sein, in dem sich die Protagonisten in den Arbeiten, die hier zu sehen sind, zuletzt aufgehalten haben, bevor sie in der Ödnis der Wüste, dem ewigen Eis oder der vor sinnlich wahrnehmbaren Reizen fast berstenden Welt ausgestiegen sind. Der Omnibus, ein Schutzraum vielleicht, der Möglichkeit zu einem letzten In-Sich-Gehen bietet, bevor es hinausgeht, auf zu Abenteuern, Gefahren, Glück oder Verdammnis.
Bleiben wir noch kurz beim Bus. Vielleicht kennen Sie die Situation: Man steigt in einen Bus ein, um von A nach B zu fahren, setzt sich weit hinten auf einen der Plätze und betrachtet die Menschen im Bus, die Ein- und die Aussteigenden. Man stellt sich vor, woher sie kommen, wohin sie gehen. Ein junges Mädchen, die langen Haare verdecken ihr Gesicht, sie hört Musik mit ihrem iPod. Ob sie traurig ist oder verliebt? Sie ist so jung und hat das ganze Leben noch vor sich. Ob sie sich dessen bewusst ist, was das bedeutet? Ob sie sich darüber freuen und den vielen bunten Dingen Raum schaffen, alles andere einfach ausblenden kann – die große Ungerechtigkeit, den großen Schmerz? Oder ist sie bereits mittendrin? Inmitten dieser Lebensreisen befinden sich auch die Helden in den Arbeiten von Barbara Greul-Aschanta und Jörg Eibelshäuser.
Einige seiner Titel geben schon einen kleinen Hinweis auf das, was in und um seine Helden herum geschieht – NEON REBEL, COLOR MY LIVE WITH THE CHAOS OF TROUBLE, BRAVE NEW WORLD oder MIND GAMES. Sie befinden sich in Welten, die bestimmt sind durch eine Explosion an Farbigkeit und einem Kosmos an Mustern. Darin sind sie auf der Suche nach sich selbst und der richtigen Entscheidung, dem richtigen Weg. Gibt es das überhaupt – richtig oder falsch? Gibt es in dieser Angelegenheit letztendlich nicht nur das, was man tut, um dann zu sehen ob es sich mit dem da draußen in Einklang bringen lässt. Oder ignoriert man die leisen, feinen Stimmen im Inneren, die man in der ach so lauten und grellen Welt eh nicht mehr hört, lässt sich gleich aufs Außen ein, egal ob es mit dem da drinnen zusammengeht.
Sagt man sich: ,Ok, ich bin jetzt auf ORANGE, gehe rechts nach GELB, bleib da eine Weile, ist ja auch spannend, komme irgendwann über BLAU und GRÜN nach ROSA um dann auf ORANGE anzukommen und festzustellen, dass ich mich die ganze Zeit im Kreis gedreht habe. Oder ich entscheide mich dafür, dass ich genau da richtig war, wo ich aufgebrochen bin, dass es eigentlich egal ist, weil ich jederzeit genau da richtig bin, wo ich gerade stehe – im HIER und JETZT, dass das womöglich das einzige ist, was wirklich real ist, der Moment, der, wenn ich ihn zu nutzen weiß, ALLES sein kann.
Die Orte, in denen sich seine Wesen bewegen, erinnern mich an die bunten Großstädte, die ich in Japan besucht habe. Ich denke an Tokyo, in dem so viele Reize aufeinandertreffen, dass man sich am besten ganz langsam und mit ein wenig Abstand bewegt, um nicht in den Strudel aus Konsum, Menschen, aus Verspieltheit, in dieses seltsamerweise strukturierte MEGACHAOS hineingezogen zu werden.
Dort, in Japan, hat auch die Kunstform des Manga ihren Ursprung. Mangas sind die japanischen Versionen des Comics. Das Pendant zum Manga ist Anime und bezeichnet in Japan produzierte Animationsfilme. Uns allen dürfte noch Captain Future bekannt sein, der in der 80er zahlreiche Abenteuer durchlebt hat. Die futuristisch wirkenden Helden von Jörg Eibelshäuser, kindlich anmutende Wesen mit großen Augen, erinnern mich an diese japanischen Kunstformen, die dort in zahlreichen Magazinen für Zerstreuung sorgen, in vielfacher Form auch Eingang in den öffentlichen Raum gefunden haben, mitunter sogar in verspielter Form auf die Gefahren des Verkehrs oder die gesundheitlichen Folgen durch Einnahme schädlicher Substanzen hinweisen.
Die Wesen von Jörg Eibelshäuser leben in einer eigenen Welt, sind mutig oder erschrocken, in sich gekehrt oder rebellisch. Die Rebellen unter ihnen nehmen den modernen Krieg gegen die scheinbar unüberwindbare massenmediale Überflutung, gegen das Einsinken in den scheinbar zum Spaziergang einladenden, dann doch zur tödlichen Falle werdenden kommerziellen Treibsand auf. Dabei folgen sie keinem Plan, keinem Programm. Ihre Reaktionen entstehen eher aus einem Gefühl, aus Verletztheit, aus widerfahrenem Unrecht, getragen von Mut und der Bereitschaft, für ihre Sache zu kämpfen. Sie leben im Schatten der Gefahr, sich im Innen und Außen zu verlieren, verloren zu sein im großen Labyrinth. Zugleich sind sie bereit, das Beste zu geben, die Möglichkeit in den Händen haltend, Vergangenes und Zukünftiges zu bewältigen, im Hier und Jetzt anzukommen.
Die Spannung in der Ausstellung ERKUNDUNG UNBEKANNTER TERRITORIEN wird für mich in dem Nebeneinander von zwei sehr verschiedenen künstlerischen Positionen erzeugt. So empfinde ich die Arbeiten von Barbara Greul-Aschanta als eher leise. Keine grellen Neonfarben, sondern gedeckte Töne der Natur wie das trockene Braun oder Ocker des Bodens, das leuchtende Türkis des Meeres, das tiefe Blau des Himmels oder das sengende Rot der Wüste. Ihre Protagonisten haben etwas Archaisches und Futuristisches zugleich. Sie sind umgeben von einer Art Schutzschicht und scheinen gewappnet gegen Hitze oder Kälte oder gar gefährliche Strahlung, gegen die Vielfalt an Abenteuern oder auch Gefahren, eben all die Abenteuer, die es für uns noch gibt. Dabei wirken sie nahezu stoisch, auf eigene Weise stark und metaphysisch, manche scheinen von einer geheimnisvollen Aura umgeben. Sie schauen hinaus auf die Welt mit dem Blick der alten Seelen.
Auch die mitunter als Dyptichen angelegten Arbeiten aus ihrem Werkskomplex „Polarforscher, Wüstengänger, Mondläufer“ zeigen das dargestellte Individuum für sich, auf seiner ganz persönlichen Reise, vielleicht in seinem ganz eigenen Martyrium. Sie geben wenig preis über ihre emotionale Disposition. Ihre Augen und somit der Blick in ihre Seele sind oftmals verdeckt, in wenigen Arbeiten scheint es, als würde eine Träne fließen. In der christlichen Ikonographie beinhalten diese Gemälde oftmals das Leben und Leiden der Dargestellten.
Und tatsächlich haftet den Figuren von Barbara Greul-Aschanta etwas Ikonenartiges an. Sie mögen tiefe Täler durchschritten, auf lichtdurchfluteten Auen verweilt haben, Schmerz und Freude, Glück und Wahnsinn durchlebt haben – sie tragen die Patina der salzigen Meere, der glühenden Wüsten und des ewigen Eises. Gemalt sind sie unter anderem mit alter und mit neuer Asche oder 1500 Jahre alter Holzkohle. Damit sind ihre Figuren verdichtet mit Vergangenem und all den Geschichten und Geheimnissen, von denen sie zu berichten wissen.
Für den Weg in die Zukunft sind manche von ihnen mit Symbolen und Hinweisen versehen. Worte wie „nordwärts“ oder „süd“ könnten ihnen bei ihrer Reise Hilfestellung geben. Der „Tau“, der am Übergang der Nacht zum Tag entsteht und bei Sonnenaufgang sichtbar wird, gilt in manchen Kulturkreisen als Sinnbild der Lebenserneuerung. In der Wüste ist der Tautropfen oft die einzige Wasserversorgung der Vegetation. In ihren Bildern wird der Tau zur Metapher sich täglich erneuernder Hoffnung. Andere werden von Schiffen begleitet, die es ihnen ermöglichen, die weiten Reisen anzutreten. Die großen Entdeckungen – haben sie nicht auch viel Unglück über die Menschheit gebracht, Ausbeutung, Zerstörung? Haben sie den Menschen nicht mit jeder neuen Entdeckung auch ein wenig größenwahnsinniger gemacht? Sie selbst sagt: „Wenn man anfängt nachzudenken, wann man anhalten müsste, könnte man nicht mehr einen normalen abendländischen Alltag leben.“
In vielen Figuren finde ich einen Teil der Künstlerin wieder, die ich als unerschrocken und bemerkenswert aufgeschlossen kennengelernt habe. Eine Frau, die weit gereist ist und die sich auf ihren künstlerischen Expeditionen immer wieder in politische und andere Gefahrenzonen begeben hat.
Die Wesen in den Arbeiten von Barbara Greul-Aschanta und Jörg Eibelshäuser durchschreiten das Leben mit einer der großen Fragen, die die Menschheit wohl seit ihrem Anbeginn beschäftigt: Die Suche nach sich selbst und dem eigenen Platz in der Welt. Ob sie tatsächlich die eisigen Landschaften der Arktis durchschreiten oder aufbrechen in die unendlichen sphärischen Weiten, um vorsichtigen Schrittes die Mondoberfläche zu erkunden, bleibt ungewiss, ebenso ob sie ankommen in sich oder im Außen, bei der ERKUNDUNG UNBEKANNTER TERRITORIEN.
Ich schließe mit einem Zitat aus ,Siddharta‘ von Herrmann Hesse: „Wohin noch mag mein Weg mich führen? Närrisch ist er, dieser Weg, er geht in Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag er gehen, wie er will, ich will ihn gehen.“