Übersetzung aus dem brasilianisches Portugiesisch: Sandra C. Wagner
Anscheinend beklagte sich Francis Bacon darüber, nicht das malen zu können „womit mit dem man einen jemanden zum Schreien bringt brächte“. Sein Anliegen, mit dem er wiederholt scheiterte, war, „den Schrei zu malen, mehr noch als das Grauen selbst“ 1. Das, was den Schrei hervorbringt, die Anspannung des Nackens, das, was die Adern anschwellen lässt und die Lippen verzieht, was die Hände zucken lässt und den Mund zwingt, die Zähne zu entblößen, das war es, was Francis Bacon im Auge hatte.
Gemäß Gilles Deleuze handelt es sich um eine „Kraft“ 2. Die Kraft, welche den Ausbruch des Schreis aus dem Innersten des Schaffenden und seinem Werk bedingt, was ist nicht zu verwechseln ist, mit dem Ton, der widerhallt, während er den seinen Lippen entfährt, widerhallt oder mit dem Klang des kreierten Bildes. Die Kraft, die den Rhombus der Lippen formt und in dem wir die Physiognomie des Schreis erkennen. Aber jene Kraft, die aus dem Mund diesen Rhombus modelliert, bleibt verborgen, unsichtbar in ihrem dunklen Schlund.
Was die Kunst evoziert, was die Kunst aufzeigt, was die Kunst bezweckt, das, worauf die Kunst verweist ist, nichts Künstlerisches. Was die Kunst bewegt, was sie antreibt, das was ihr zugrunde liegt, ist nichts Künstlerisches. Es ist nicht Teil des Kosmos Kunst Kunstkosmos, was die Kunst transportiert. Ebensowenig ist es Teil der Kunst, was sie uns in sich sehen lässt, was sie uns erlaubt, durch ihre Ritzen zu erspähen.
Es ist kein Bild, noch viel weniger ein kinematographfisches Bild, das sich in Andrei Tarkowskis Film Der Spiegel [Serkalo] in dem wiegenden hohen Gras zeigt, worin sich der ungestüme Wind ankündigt, der die leeren Gläser von dem rohen Holztisch fegt. Was wir da vorfinden, ist nicht in dem Bild zu sehen und nichts, was zu dieser Ebene beiträgt.
Es ist nichts Literarisches was leise horizontal vorrückt, gleich jener Sommerbrise in dem Haikai Haiku von Bashō aus dem 17. Jahrhundert. Es ist nichts Literarisches, was hervortritt beim Lesen der Zeilen hervortritt: “Jenen der eitlen Welt / erblüht die Kastanie unentdeckt”.
Es ist nichts Musikalisches, was sich inmitten der Noten der Melodie wie „Crônica da Casa Assassinada“ von Antonio Carlos Jobim erahnen lässt. Es ist etwas viel größeres als die Musik. Das was zwischen den Streichern empor steigt, was imstande ist, die Landschaft in Farbe zu tauchen, das was mitschwingt in der Melodie, das was auf den Geruch des Regens auf heißem Untergrund anspielt, was den Atem beschleunigt, ist nichts Musikalisches.
Die Musik, das kinematographfische Bild, die Poesie halten Wache, vergegenwärtigen und beschwören diese Präsenz, die größer ist, die keinen Namen trägt, keinen Maßstab kennt und die nicht in der Kunst zufällt Platz findet.
Wache und Beschwörung haben nichts gemein mit der Erwartung. Es handelt sich nicht um das Ausharren. Was die Kunst vor allem leistet ist ver-zweifeln 3. Kunst ist Poiesis, oder vielmehr ein produzierendes Handeln, ein Machen. Kunst ist etwas, das die Erwartung zunichte macht. Die Hoffnungslosigkeit ist gerade jenes Konstrukt bar jeder Hoffnung. Deshalb ziehe ich es vor, von dem Hoffnungs-losen und nicht dem Un-verhofften zu sprechen.
Wenn sich ganz Europa in einen dichten Aschemantel hüllt, der von einer vergessenen kleinen Insel im Nordatlantik herrührt, wenn dort der Tag zur Nacht wird, so ist das ein un-verhofftes Geschehen. Aber wenn jemand tote Bäume im Herzen der Wüste pflanzt und seine Tage damit verbringt sie zu wässern, wie es der Mönch aus dem 8. Jahrhundert in Tarkowskis Film „Opfer“ [Offret] tut, dann ist es etwas Hoffnungs-loses… Wenn die Natur in grandioser Weise un-verhofft ist, so ist Kunst auf edelste Weise hoffnungs-los.
Das Hoffnungs-lose verheißt ein Erschaffen, selbst wenn das Erschaffene etwas Zerstörerisches oder gar ein Akt der Auslöschung ist. Den bekannten Horizont auf den Seiten löschen, damit sich andere, die im Ungewissen sind, dort eintragen. Das ist es, was die Kunst vorantreibt und das, was par excellence die Konstruktion eines Kontinents zum Auseinanderbersten bringt, damit das Hoffnungs-lose heraus bricht.
Wenn in der Hoffnung das Weil sie die Konstruktion der Unstetigkeit des Erwarteten ist, kann man sagen, dass die Kunst läge, sozusagen ein süßer Akt der Gewalt wäre, ein zärtlicher Betrug um ein Vermächtnis, ein sorgfältiger Bruch, ein erreichter Strafaufschub wäre, der, wenn auch nur zeitweilig den Zwang der Gesetzmäßigkeiten, welche das Zusammenleben beherrschen aussetzte, und dass die Kunst – so ist sie der entropische Punkt in den Zeichensystemen wäre.
Dieses großartige „namenlose Ding“ haucht seinen Atem zwischen das Blattwerk der Sprache. Es liegt in seiner Natur, und sein Wesen bewohnt den Zwischenraum im Geäst zu bewohnen. Auf diese Weise unsichtbar. Deswegen neigt es Inschriften und Namen mit seinem Atem von einer Seite seiner Gestalt auf die andere, unsichtbar.
Es sind nicht die Zweige der Struktur Sprache des Sprachenbaums, die wild und einsam wogen. Es ist das, was sich zwischen seinen Ästen einen Weg bahnt. Auf diese Weise, lässt Es all seine Zweige beben, stellt sich unsichtbar durch sie zur Schau.
Was den Wind sichtbar werden lässt, ist das, was sich mit ihm in Bewegung setzt. Das was dieses „namenlose Ding“ erfahrbar macht, ist der Grad, bis zu welchem die Sprache fähig ist sich zu biegen, damit Es sich durch sie in seiner peinigenden Unsichtbarkeit bekundet.
Gibt es ein potentes Mittel, das die Sprache besänftigen könnte? Welcher Balsam oder Sud, den man in den Rachen der Sprache kippen könnte, würde sie von ihrer Aphasie heilen, damit sie wieder zu sprechen begönne? Wäre es möglich, der Sprache das Schwimmen beizubringen? Oder zumindest sie zu lehren, sich von einer Küste des Ozeans zur anderen treiben zu lassen, damit wir die Syntax der Meere verstünden?
Ein möglicher Weg wäre zu denken, dass jedwede Erziehung, jedwede Alphabetisierung niemals über das Immaterielle der Sprache hinausgehtginge. Zuvor, muss etwas geschehen im Gemüt dessen desjenigen, der seine Innenwelt dem Es aussetzt hingibt, mit seinem Leib die Peitschen des Es erleidet. Vielleicht wäre es notwendig, „die Substanz zu malträtieren“, wie mein Großvater Vicente sagte. Sie geschmeidig zu machen, damit diese Ingredienz sie durchdringe.
1 SYLVESTER, David. Entrevistas com Francis Bacon. [Interviews mit F.B.] São Paulo: Editora Cosac Naify, 2007. Seite 48.
2 DELEUZE, Gilles. Francis Bacon: Lógica da Sensação. [Logik der Sensation] Rio de Janeiro: Jorge Zahar Editor, 2007. Seite 62.
3 »Der Titel enthält die Worte „erwarten/hoffen“, „verzweifeln“, „rückgängig machen“. Ich mag die die doppelsinnige Geste von „des-esperar“, wörtlich „ent-erwarten/ent-hoffen“. Es enthält „die Zurückweisung durch die Erwartung“, ein Akt des „rückgängig Machens dessen, von dem erwartet wird, das es gemacht würde“.« M.C.