Lukas Schöne – Wundersame Welt

Tierisch und botanisch anmutende Objekte zwischen Fantasie und Realität

Erlauben Sie, Lukas Schöne, dass ich in meiner Rolle als Kunstvermittler und Interpret Ihre künstlerischen Objekte und Ihre ästhetischen Anschauungen näher betrachte, sozusagen unter die Lupe nehme.

Dabei sprechen Sie generell im landläufigen Sinne von Skulpturen und von Barock und meinen damit „üppig und ausdrucksstark“ weniger die Stilrichtung des 17. Jahrhunderts. Beides ist aber unzutreffend. Denn Ihre Kreationen sind de facto plastische surrealistische Assemblagen aus diversen Fundstücken unterschiedlicher zeitlicher Provenienz.

Das Verbindende unter den Surrealisten (Dalí, Magritte, Picasso, Max Ernst) bestand lediglich im Prinzip der Kombinatorik: frei von Gesetzen der Vernunft und der Natur wurden Dinge aus räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen gerissen und zu fantastischen, teils monströsen Bildern zusammengefügt. Inneres und Äußeres kommen zusammen, Menschen, Tiere, Pflanzen und Dinge verbinden sich zu einer neuen Wirklichkeit.

Sie Lukas Schöne entpuppen sich, meines Erachtens, also als ein veristischer d.h. naturnaher surrealistischer Trophäen-Jäger.

Lukas Schöne studiert derzeit Bildende Kunst an der Kasseler Kunsthochschule.

 

Lukas Schöne auf dem EULENGASSE Live-Kanal auf YouTube:
> 23.06.2021 um 19:30 Uhr im Gespräch mit Helmut Werres (Maler und Zeichner)
> 24.06.2021 um 19:00 Uhr im Gespräch mit Brigitta Amalia Gonser (Kunstwissenschaftlerin)
> 27.06.2021 um 16:00 Uhr im Gespräch mit Heide Khatschaturian (freischaffende Künstlerin)
Die Gespräche werden moderiert von Harald Etzemüller (Vorstand EULENGASSE)


In seiner ersten Ausstellung außerhalb Kassels zeigt Lukas Schöne bei EULENGASSE vom 21.-27.06.2021 Objekte, in welchen tierische und pflanzliche Aspekte dominieren: Aus modellierten Formen wachsen reale Tierpräparate, Werke aus Papier und Textilien nehmen u.a. botanische Bezüge auf. Gemeinsam mit historisch anmutenden Objekten, Fundstücken und Aufbauten erschafft Lukas Schöne ein Biotop befremdlicher und zugleich mysteriös-verführerischer Arbeiten. Wie einer Fantasie-Epoche entsprungen, bilden sie die Anatomie einer ganz eigenen Vergangenheit ab und führen vor Augen, dass die faszinierenden »Wunderkammern« aus Spätrenaissance und Barock leider viel zu früh verschwanden.

 

Löwe, Leopard, Büffel, Elefant und Nashorn übten die größte Anziehungskraft auf die Jäger aus, die seit Jahrhunderten nach Afrika zu einer Safari reisen, und so ist es immer noch. Von einer Großwildjagd träumen immer noch viele Jäger. Übrigens vermutete ich vorerst, dass Sie eine enge Beziehung zu einem renommierten Tierpräparator pflegen und Ihnen 30.000 bis 100.000 € Honorar winken. Leider haben Sie in dieser Ausstellung ihre Großwild-Assemblagen wie „Sansibar-Leopard“ 2020, Schimpanse im „Naturalienkäfig“ 2019 oder „Schwedenschimmel“ 2019 nicht mitgebracht. Aber dafür die kleineren Formate: Antilope „Fingerhut“ 2019, Hai im Fangeisen, Pfau, Pferd, Kugelfisch.

Reden wir von Natur, reden wir immer vom Verhältnis des Menschen zur Welt. Eine Ausstellung zu diesem Thema im Sinclair-Haus in Bad Homburg stellt fest, dass die Frage: „Was ist Natur?“ vor allem eine Auseinandersetzung mit uns selbst fordert– mit unseren Vorstellungen von Schönheit, Lebendigkeit und Nutzen, mit unseren Werten und den Voraussetzungen, die menschlichen und nichtmenschlichen Wesen ein gutes Leben ermöglichen. Deshalb frage ich Sie, Lukas Schöne, Was ist für Sie Natur?

Erinnern wir uns aber der drei Leitmotive des Barock Vanitas, Memento mori und Carpe diem, so scheinen uns beim Betrachten Ihrer tierischen Assemblagen vor allem die ersten beiden Prinzipien zu begegnen. Vanitas als leerer Schein, Nichtigkeit und Eitelkeit vor allem im „Spiegelkabinett“ von 2018, mit Neo-Rokoko-Spiegel und rotem Kugelfisch davor, sowie im „Pfauenweibchen“ auf korinthischem Akanthuskapitel des Historismus.

Da Sie stets leblose Tiere einsetzen, rückt das Memento-mori-Motiv das Thema Tod und Vergänglichkeit in den Fokus, wobei es bei diesen Präparationen nicht mehr um einfache Stopfplastiken, sondern um Demoplastiken von besonderer Schönheit geht.

Der Haifang bedeutet das Ende des Ökosystems Meer. Haie sind die Gesundheitspolizei der Meere, ohne die ein Leben nicht möglich ist. Und dennoch werden sie beim weltweiten Haifang von jährlich 73 Millionen Haien bis zum Exzess gejagt, wegen ihrer Flossen. Ist das der ökologische Kontext der Assemblage mit Hai im Fangeisen?

Und was verbirgt sich hinter der Bergziege – oder ist es eine Antilope –  im Schaufenster, ist es ein Präparat oder ist sie modelliert?

„O du Fallada, da du hangest“ (Ein Pferd klagt an) heißt es bei Brecht in der Vertonung von Eisler, einer Variante der Gänsemagd, eines Märchens der Brüder Grimm. Beim Pferdekopf „Rembrandt“ von 2017 handelt es sich um eine Hommage, aber keineswegs an den Barock-Maler Rembrandt van Rijn, sondern eher an einen Westfalenwallach und ein auf internationalen Turnieren weltweit erfolgreiches Dressurpferd. Rembrandt, geritten von Nicole Uphoff, war – neben zahlreichen anderen Erfolgen – Olympiasieger 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona.

Mit den drei „Specksäulen“ von 2016 – sind sie übrigens dorisch? – kommen wir nun aus dem Tierreich ins amorphe Reich der Mineralien, Gesteine und in das der historistischen Architektur. Hauptbestandteil des Specksteins ist Talk. Mehrfarbig marmorierte Sorten sind häufig ferromagnetisch. Daher auch die darauf liegenden Eisenteile. Mehrfarbiger Speckstein war billiger und wurde im Historismus als Scheinmarmor eingesetzt. Und der Künstler lässt außerdem flüssiges Wachs über die Specksäulen rinnen.

Neuere plastisch modellierte Objekte entwickelt Lukas Schöne durch eine ganz andere künstlerische Vorgehensweise, indem er landwirtschaftliche Artefakte mit Pappmache ummantelt und sie vollständig mit einer aus Schriftzeichen komponierten surrealistischen écriture automatique überzieht.

So entsteht also die Wundersame Welt des veristisch surrealistischen Trophäen-Jägers und Sammlers Lukas Schöne!

Die typischen Sammlungen der Renaissance und des Barock heißen nicht umsonst Kunst- und Wunderkammern, bergen sie doch in sich lauter Wunderwerke der Natur und der menschlichen Kunstfertigkeit: Seltene Naturalien, kostbare Automaten, Erzeugnisse aus fernen Welten und exquisite Kunstwerke. Die von Lukas Schöne kommen nun hinzu.

Gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Bestandteil des Kulturpakets »Hessen kulturell neu eröffnen«.